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23.09.2024
Apotheker werden als Quasi-Beamte des Staates allein gelassen – Standesorganisationen seien jedoch weiter zum Dialog bereit – Vortrag zu Übergewicht, Typ 2 Diabetes und Semaglutid von Prof. Dr. Stephan Martin
Düsseldorf. In der angenehmen Atmosphäre des Sport- und Olympia-Museums in Köln hätten die Themen unangenehmer kaum sein können. Kammerpräsident Dr. Armin Hoffmann rechnete in seiner Rede zur politischen Lage des Berufsstandes schonungslos mit den kruden Vorstellungen im Bundesgesundheitsministerium ab: „Wenn man sieht, dass in Apotheken 75 bis 85 des Umsatzes davon abhängen, wie Ministerien die Weichen stellen – dann könnte man fast auf den Gedanken kommen, dass wir vor allem in Bezug auf die Honorierung mehr Beamte des Staates sind als Freiberufler. Wenn dann Minister Lauterbach sagt, dass es keine Honoraranpassung ohne Strukturreform gibt – dann ist das Erpressung und an Dreistigkeit und Rücksichtslosigkeit nicht mehr zu überbieten.“ Das Treffen der Kammermitglieder über 65 Jahren – die traditionelle Fortbildung für Senior-Pharmazeuten Ende vergangener Woche – startete sehr politisch.
„Als Sozialdemokrat müsste sich Lauterbach im Kabinett eigentlich stark für die Schwachen und damit für die Patientinnen und Patienten machen. Auch bei der Krankenhausreform, durch die steigende Beträge für GKV-Patientinnen und Patienten drohen, sieht man, wie Lauterbach vorgeht. Den Weg des geringsten Widerstandes suchend durchwurschteln und dabei jeden Sinn für Gerechtigkeit verlieren!“
Apotheken ohne Apotheker erteilte Dr. Hoffmann vor Ort erneut eine Absage: „Das würde die Abgabe von Arzneimitteln grundlegend verändern, die Qualität würde sinken, das gefährdet Leben. Bis zu 40.000 Arbeitsplätze für Apotheker stehen außerdem auf dem Spiel, wenn das Reformgesetz durchkäme. Das wird es mit uns nicht geben!“ Insofern sei die erste ablehnende Stellungnahme der ABDA genau richtig gewesen. Die Apothekerschaft musste klar aufzeigen, dass man nicht alles mit sich machen lasse. Dies geschah in dieser Deutlichkeit das erste Mal überhaupt. Es hat einen Politiker – Karl Lauterbach – sicher verärgert, aber viele andere zum Nachdenken angeregt und zur Kontaktaufnahme mit Apothekerinnen und Apothekern bewegt. Es gilt auf Bundesebene nun, gesprächsbereit zu bleiben, denn es gibt so viele Möglichkeiten, einen gemeinsamen Weg mit dem Bundesministerium zu gehen. Die enge Zusammenarbeit mit den Ministerien der Länder kann dabei Vorbild sein. Zwei Beispiele sind Gesundheitskioske und die Telepharmazie. Für ersteres gibt es schon gute Beispiele, wie diese gemeinsam mit Apotheken aufgebaut wurden und für die Telepharmazie wurden bereits erste Positionspapiere zur Diskussion mit dem Ministerium – unter anderem auch von der Apothekerkammer Nordrhein – entwickelt und veröffentlicht.
Nach der Rede des Kammerpräsidenten übernahm Prof. Dr. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) des Verbundes Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD) das Podium. In seinem Vortrag beleuchtete er eindringlich den Zusammenhang zwischen Insulinproduktion und Adipositas.
Mit einer erfrischenden Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit sprach Prof. Dr. Martin die Schwächen des Gesundheitssystems an: „Das ist so bekloppt, das ist Realsatire, darüber zu berichten“, kommentierte er und verwies auf die vielen Absurditäten, die Stoff für ein Comedy-Programm liefern würden. Parallelen zur Kritik von Dr. Armin Hoffmann drängten sich geradezu auf.
Im Mittelpunkt des Vortrags von Prof. Dr. Martin stand jedoch das Thema Übergewicht und Adipositas. „Adipositas ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sie ist ein Krankheitstreiber und damit auch ein gesundheitsökonomisch und sogar ökologisch belastender Faktor, der die gesamte Gesellschaft betrifft“, betonte er. Martin verglich Adipositas mit einem Frosch im heißen Wasser. „Wenn man einen Frosch in heißes Wasser setzt, würde er sofort herausspringen und überleben. Setzt man ihn hingegen in kaltes Wasser und erhitzt dieses langsam, würde er am Ende im heißen Wasser sterben.” So sei es auch mit Übergewicht. Die Gesellschaft merke nicht, dass immer mehr Menschen an Übergewicht leiden und irgendwann ist es zu spät. Dasselbe gelte auch für den einzelnen Menschen – die Pfunde kämen schleichend, beinahe unmerklich.
Eindrucksvoll zeigte Martin auch den Zusammenhang zwischen Body-Mass-Index (BMI) und dem relativen Risiko, einen Typ 2 Diabetes zu entwickeln. Dieses Risiko steige sprunghaft an und sei bei einem BMI zwischen 30 und 35 bereits 20-fach erhöht, bei einem BMI über 35 steige es sogar auf das 40fache. Im europäischen Vergleich stehe Deutschland hinsichtlich der durchschnittliche Lebenserwartung schlechter da als Länder wie Frankreich, Spanien, Schweiz und selbst Großbritannien. Eine wesentliche Ursache dafür liege in zu wenig präventiven Maßnahmen. Spannend waren auch Untersuchungsergebnisse von Martin, die zeigten, wie deutlich sich der tägliche Verlauf des Blutglucosespiegels durch eine gezielte Ernährungsumstellung absenken lässt. Spektakulär war auch die von Martin zitierte PRE-DIMED-Studie, nach seinen Worten die einzige randomisierte Studie, die den Effekt einer fetthaltigen Ernährung auf das Körpergewicht untersucht hat. In dieser Studie stellte sich heraus, dass eine mediterrane Ernährung, die reich an pflanzlichem Fett aus Olivenöl oder Nüssen ist, das Körpergewicht entgegen den Erwartungen sogar geringfügig senkte und nicht ansteigen ließ.
Als Hauptursache für Übergewicht machte Martin Kohlenhydrate aus, die ebenso wie Glucose selbst den Blutzuckerspiegel und damit die körpereigene Insulinausschüttung steigern: „Insulin senkt aber nicht nur den Blutzucker, es blockiert auch die Fettverbrennung. Wer also nachhaltig abnehmen will, sollte Kohlenhydrate reduzieren.“ Eine medikamentöse Gewichtsabnahme mit Hilfe von Semaglutid sei nicht ohne Nebenwirkungen und nach Absetzen reversibel. Martin plädierte für eine initiale medikamentöse Gewichtsreduktion mit Semaglutid und eine sich anschließende konsequente Änderung des Lebensstils und Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, die von ihm entwickelte Low-Insulin-Methode. Martin verstand es, seine Zuhörer mit seiner hohen fachlichen Expertise und seinem pointierten und lebendigen Vortragsstil zu fesseln. Das war schon an einzelnen spontanen Reaktionen während seines Vortrages zu spüren und so entwickelte sich im Anschluss eine rege Diskussion.
Im Anschluss daran konnten die Anwesenden an einer Führung durch das Deutsche Sport- und Olympia Museum oder einer Tour durch den benachbarten Rheinauhafen teilnehmen. Im Museum erhielten die Teilnehmer spannende Einblicke in die Geschichte der Olympischen Spiele. Bei herrlichem Wetter erklärten die Stadtführer die spannende Historie des Rheinauhafens vom historischen „Werthchen“ bis hin zum modernen Kölner Wahrzeichen direkt am Rhein.
Über uns: Apothekerkammer Nordrhein
Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts Trägerin der berufsständi-schen Selbstverwaltung der Apothekerinnen und Apotheker, die in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf arbeiten oder leben. Sie vertritt die Interessen der über 12.000 Kammerangehörigen, die in öffentlichen Apothe-ken, Krankenhäusern, Wissenschaft, Industrie und Verwaltung oder bei der Bundeswehr tätig sind. Die Apotheke vor Ort übernimmt eine hoheitliche Aufgabe: die sichere, vom Heilberuf getragene, wohnortnahe Versorgung der Menschen mit Arznei- und Hilfsmitteln, 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr.
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